Über unser Partnerprojekt in Kalkutta
Kürzlich erreichte uns von der Kinderärztin Christina Lang folgender Bericht über die Kinderklinik Pushpa Home in Kalkutta. Sie gibt hier Einblicke in unser Partnerprojekt, indem sie sich in eine ihrer jungen Patientinnen hinein versetzt und von den medizinischen sowie sozialen und familiären Kontexten erzählt.
„Nomoschkar“, das heißt in meiner Sprache „Hallo“ oder „Guten Tag“ !
Mein Name ist Rimi und ich bin 10 Monate alt. Ich habe erfahren, dass Ihr das Pushpa home in Howrah unterstützt. Da dachte ich mir, ich erzähle Euch mal ein bisschen, wie ich eigentlich im Pushpa home gelandet bin und was bei uns so los ist. Ich bin momentan das jüngste Kind und wohne gemeinsam mit meiner Mutter und 17 anderen Kindern hier. Jetzt geht es mir wieder ganz gut. Das war aber nicht immer so… .
Bei uns zu Hause gab es schon immer viel Streit zwischen meinen Eltern und meiner Großmutter. Meine Mutter wurde dann auch noch krank. Die Erwachsenen unterhielten sich über geschwollene Knoten am Hals. Jemand sprach von Tuberkulose. Komisches Wort.
Nach ein paar Wochen wirkte meine Mutter immer abwesender, redete komische Sachen und vergaß sogar manchmal, dass ich da bin. Ein Arzt sagte, dass das an den kleinen weißen Tabletten liegen könnte, die meine Mutter schon einige Zeit zur Behandlung der Tuberkulose schluckte. Psychose nenne man diesen Zustand. Keine Ahnung was eine Psychose ist. Mein Vater hat das wohl auch nicht ganz so verstanden. Aber ich glaube, er war ganz froh, dass er meine Mutter in dem Tuberkulosekrankenhaus für Frauen lassen konnte und er endlich seine Ruhe hatte.
Ich aber habe sie schrecklich vermisst. Ohne meine Mutter kam ich mir plötzlich ganz verloren vor. Ich fühlte mich zunehmend schlapp und müde. Mir fehlte die Kraft zum Trinken und ich wurde immer dünner. Irgendwann begann es, an meine Hals zu drücken und es wuchsen kleine runde Kugeln auf beiden Seiten, die immer größer wurden.
Eine junge Frau aus der TB-Klinik kam zu uns nach Hause und entdeckte mich. Sie überzeugte meinen Vater, mich einer Tuberkuloseärztin vorzustellen. Das war harte Arbeit. Mein Vater dachte, dass die Kugeln von selber wieder verschwinden. Er war ganz überrascht, als sie ihm erklärte, sie vermute auch bei mir „Tuberkulose“. Wahrscheinlich habe ich mich im Bauch meiner Mutter angesteckt. Die Ärztin hielt es für das Beste, mich im Pushpa home aufzunehmen. Ich war ja noch so klein. Nach langem HIn und Her willigte mein Vater ein und ab ging es in einem kleinen Ambulanzfahrzeug.
Als mein Vater nach Hause gegangen war (Väter dürfen dort leider nicht mit schlafen) wurde ich von allen Kindern und den Krankenschwestern umringt und begutachtet. Das jagte mir einen ganz schönen Schrecken ein. So viele neue und unbekannte Gesichter. In den folgenden Tagen wurde ich herumgereicht, jeder wollte mich halten oder füttern. Das gefiel mir irgendwann doch ziemlich gut, weil alle so fröhlich waren. Ich war allerdings noch zu schwach zum Lächeln.
Dann musste ich zu einem anderen Arzt. Der piekste in eine der kleinen Kugeln an meinem Hals. Das war ganz und gar nicht lustig. Daraufhin bekam ich nun auch Tuberkulosemedikamente und dann …, ich konnte es kaum glauben, dann kam meine Mutter durch die Tür herein und nahm mich in den Arm. So lange hatte ich sie nicht gesehen. Jemand war auf die Idee gekommen, uns gemeinsam im Pushpa home zu behandeln. Wir hatten ja schließlich die gleiche Krankheit.
Nun ging es mir jeden Tag ein bisschen besser. Ich nahm an Gewicht zu und konnte nun zum ersten Mal alleine sitzen. Auch meine Mutter wurde immer fröhlicher und begann sogar zu lachen.
Wir haben hier Platz für 30 Kinder und normalerweise ist jedes Bett belegt. Aber im Juni konnten viele Kinder nach Hause entlassen werden. So sind wir nur noch 17.
Manche Kinder müssen ziemlich lange hier bleiben (bis zu 2 Jahre) und bei einigen Kindern wirken die üblichen Medikamente nicht mehr und sie brauchen stärkere. Oft müssen sie noch mehr Tabletten als die anderen schlucken und es geht ihnen manchmal ziemlich schlecht von den vielen Pillen. Bei mir läuft es dagegen ziemlich glatt. Da bin ich froh.
Unsere indische Ärztin Dr. Mita sagt, dass das mit den unwirksamen Medikamenten jetzt leider häufiger vorkomme. Aber ihr fällt meistens etwas ein, was man dagegen tun kann. Sie besucht uns jeden Dienstag oder wenn es einem von uns schlecht geht.
Eigentlich dauert eine Behandlung so sechs Monate, aber einige Kinder haben richtig Pech und die Tuberkulose hat sich ziemlich in ihrem Körper breit gemacht. Pinki zum Beispiel sitzt im Rollstuhl. Sie hatte eine Tuberkulose im Gehirn, kann nun nicht mehr laufen und auch schlechter sehen. Durch die Physiotherapie, die sie fast jeden Tag bekommt, kann sie nun mit Hilfe stehen.
Mukesh hält sich manchmal den Bauch, weil er durch die Tuberkulose viele kleine Kugeln und Wasser im Bauch hat. Und Rafat trägt ein Korsett, weil die Bakterien sich in ihrer Wirbelsäule eingenistet haben. Manche Kinder haben ganz schön schlimmen Husten und bekommen dann schlecht Luft. Es gibt sogar Kinder, deren Lunge sich nie mehr so ganz erholt.
Uns geht es ziemlich gut hier im Pushpa home. Alle bekommen wahrscheinlich mehr und besser zu essen, als sich das ihre Eltern zu Hause leisten könnten. Jedes Kind hat ein eigenes Bett. Das ist für viele Kinder auch nicht selbstverständlich, weil sich 5 oder mehr Personen zu Hause ein Bett teilen müssen.
Dazu haben wir einen schönen Garten, in dem wir spielen können. Die Rutsche und die Wippe sind leider noch nichts für mich, aber manchmal sitze ich mit meiner Mutter auf der Schaukel.
Die größeren Kinder gehen hier in die Schule. Manche von ihnen zum ersten Mal in ihrem Leben. Ich bin allerdings sehr froh, dass ich mich noch ganz aufs Spielen konzentrieren kann. Besonders begeistert sind alle von unserem Zeichenlehrer, der dreimal pro Woche kommt. Und natürlich vom Fernsehprogramm am Wochenende … .
Manchmal machen wir einen Ausflug mit den German Doctors. Darauf freuen sich immer alle und putzen sich heraus. Sogar ich habe das letzte Mal meine Fußnägel pink lackiert bekommen ! Stellt Euch das mal vor ! Einmal waren alle im Planetarium und zuletzt besuchten wir einen Freizeitpark. Das war klasse. Noch wochenlang haben wir darüber gesprochen.
Nun werde ich wahrscheinlich noch vier Monate bis zum Ende meiner Behandlung hier sein. Ich hoffe, in der Zeit vertragen sich meine Eltern wieder. Eigentlich wollte mein Vater nur mich wieder mit nach Hause nehmen. Aber bei seinem letzten Besuch saßen wir alle drei zusammen und ich glaube, er und meine Mutter freunden sich langsam wieder an.
So, nun habt Ihr ein kleines bisschen aus meinem Leben erfahren.
Ohne Euch wären wir nicht hier im Pushpa home. Deshalb ein ganz großes Danke an alle, die an uns denken und sich für uns einsetzen !
Liebe Grüße
Eure Rimi
(Howrah, 12. August 2019)